DGFS-Jahrestagung Marburg 1. - 3.3. 2000

Rahmenthema: DAS LEXIKON
Sektion "Wortfindung und Wortfindungsstörungen"

 

Überblick: Einführend /// Referenten /// Abstracts /// Zeitplan

 

Einführend:

Selbst bei langsamem Sprechtempo bedeutet es eine ungeheure Leistung, so schnell (in der Regel) die zutreffenden Lexikoneinträge abzurufen; wie machen wir das? Und was gelingt nicht, wenn Gesunde sich – (formal oder vor allem) inhaltlich motiviert – versprechen, wenn Aphasiker Benennstörungen haben oder/und paraphasisch werden, wenn im Rahmen einer Alzheimer Krankheit Benennstörungen auftreten und die ‚verbal fluency‘ (überprüft anhand der Produktion von Wortlisten z.B. zu einer vorgegebenen semantischen Kategorie) signifikant absinkt? Und wie funktioniert das bei Mehrsprachigkeit?, wobei wir sicherlich zwischen echter Zweisprachigkeit und einer zweiten Sprache als Fremdsprache unterscheiden müssen.

Wir wollen (a) theoretische Beiträge prinzipieller Natur zum Aufbau des Lexikons und zum ‚lexical access‘, (b) Beiträge aus dem Bereich der Mehrsprachigkeit, (c) und (d) Beiträge zu verschiedenen Sprachpathologien (soweit es dabei um den Aufruf von Lexikoneinträgen geht) einwerben und ihre Autoren zu einer gemeinsamen Diskussion des Aufbaus und der ‚Funktionsweise‘ des mentalen Lexikons anregen.>

 

Referenten (vorläufig):

Florian Kulke und Gerhard Blanken
Deutsches Seminar 1, Forschungsgruppe Neurolinguistik
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg i.Br.
"Psycholinguistische Modelle und neurolinguistische Daten: Bedeutungsbezogene aphasische Fehlbenennungen"

Peter Indefrey & W.J.M. Levelt
Max Planck Institute for Psycholinguistics Nijmegen
"Die Hirnaktivität bei der Produktion von Wörtern"

N.N.
Neurolinguistisches Labor Freiburg i.Br.
"Multiples vs. unitaristisches semantisches System:
Imaging-Vergleich der Verarbeitung von Bild- und Wortmaterial"

Michael Schecker (Sektionsleiter)
Neurolinguistisches Labor
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg i.Br.
"Wortfindung und verbale Flüssigkeit bei früher Alzheimer-Krankheit"

Markus Gress-Heister
"Prof. König und Leiser Schulen" Kaiserslautern
"Therapeutische Ansätze bei Benennstörungen (am Beispiel von Aphasien)"

Johannes Müller-Lancé
Romanisches Seminar
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg i.Br.
"Besonderheiten der Wortfindung im tertiärsprachlichen Bereich"

Georges Lüdi
Romanisches Seminar / Allgemeine Sprachwissenschaft
Universität Basel
"Mehrsprachigkeit, Code-Switching und Wortfindung"
e-mail: rosegl@ubaclu.unibas.ch

Georges Kleiber
Allgemeine Sprachwissenschaft
Université Marc Bloch & Scolia de Strasbourg
"Lexique et cognition: La sémantique des proverbes"

Zsuzsanna Iványi
Universität Debrecen - Ungarn
"Gesprächsanalytische Untersuchung von Wortfindungsstörungen"

Günter Kochendörfer
Neurolinguistisches Labor
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg i.Br.
"Wortfindung und Benennen im Rahmen neuronaler Modellierung"

Peter Auer & Barbara Rönfeldt
Deutsches Seminar 1
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg i.Br.
"Erinnern und Vergessen. Wortfindung als interaktives und soziales Problem"

Abstracts:

"Erinnern und Vergessen. Wortfindung als interaktives und soziales Problem"
Peter Auer und Barbara Rönfeldt

Unser Beitrag geht von der These aus, daß sich Wortfindungsprobleme nicht nur psycholinguistisch gewinnbringend untersuchen lassen, sondern auch eine soziale (face-bezogene) und interaktive (konversationsdynamische) Komponente haben. In (schwacher) Analogie zu G. Jeffersons treffender Unterscheidung zwischen "exposed and embedded corrections" (durch den Gespraechspartner) schlagen wir vor, auf der komplementären Seite des Sprechers zwischen exponierten und kamouflierten Wortfindungsproblemen zu unterscheiden. Die soziale und interaktive Dimension von Wortfindungsproblemen lagert sich über die psycholinguistische; wenn man sie beruecksichtigt, kann man erklaren, warum (a) referentiell (also im Sinne der Informationsuebermittlung) durchaus erfolgreiche sprachliche Handlungen trotzdem durch exponierte Wortfindungsprobleme und ihre konversationelle Behandldung unterbrochen werden, und (b) warum umgekehrt durch ihre Nichtbearbeitung für die Informationsübermittlung hochgradig stoerende Wortfindungsprobleme kamoufliert werden, wenn es den Beteiligten notwendig erscheint, das eigene Gesicht zu wahren.

Wir werden unsere These anhand zweier voellig unterschiedlicher Datentypen zu untermauern suchen: einmal werden wir bilinguale Sprecher behandeln, die Wortfindungsprobleme in der weniger gut beherrschten Sprache exponieren, obwohl - durch Ausweichen in die andere Sprache - bereits alle referentiellen Probleme zufriedenstellend geklaert sind; zum zweiten werden wir aphasische Daten analysieren (Wernicke-Aphasie), in denen Sprecher versuchen, ihre psycholinguistisch realen Wortfindungsprobleme in der Wirklichkeit der Interaktion so zu verstecken, dass diese Interaktion aufgrund referentieller Vagheiten an den Rand des Scheiterns geraet.

auerp@uni-freiburg.de

roenfeld@uni-freiburg.de

"Die Hirnaktivität bei der Produktion von Wörtern"
P. Indefrey und W.J.M. Levelt

Die Entwicklung moderner bildgebender Verfahren wie der Positronenemissionstomographie (PET) und der funktionellen Magnetresonanztomographie (fMRI) hat in den letzten Jahren zu einer Fülle von Studien zur Hirnaktivität bei Sprachverarbeitung geführt. Leider erlauben nur wenige der verwendeten experimentellen Paradigmen eine aus psycholinguistischer Sicht schlüssige Interpretation der Aktivierungsdaten einzelner Studien.

In einer Meta-Analyse wurden die Daten von 58 Wortproduktionsexperimenten in einem gemeinsamen anatomischen Referenzsystem erfasst. Darüber hinaus wurden die verwendeten experimentellen Aufgaben (z.B. Bildbenennung, Vorlesen von Pseudowörtern) anhand eines funktionellen Modells der Sprachproduktion (Levelt, 1989) bezüglich der enthaltenen Verarbeitungskomponenten (lexikalische Selektion, Zugriff auf den lexikalischen phonologischen Code, postlexikalische phonologische Encodierung, phonetische Encodierung und Artikulation) analysiert. Es wurde angenommen, dass Hirngebiete, die an bestimmten Verarbeitungsschritten beteiligt sind, bei allen experimentellen Aufgaben, die diese Verarbeitungsschritte enthalten, aktiviert sein sollten Ziele der Meta-Analyse waren (a) die Identifikation von aufgabenspezifischen Hirnaktivierungen, die nicht mit dem Wortproduktionsprozess als solchem in Verbindung gebracht werden können, (b) die Identifikation eines Netzwerks von Hirngebieten, die während des Wortproduktionsprozesses aktiviert werden und (c) die Identifikation von Hirngebieten innerhalb dieses Netzwerks, die spezifischen Verarbeitungskomponenten der Wortproduktion zugeordnet werden können.

Die Meta-Analyse ergab ein links-lateralisiertes Netzwerk von Hirngebieten für den Gesamtprozess der Wortproduktion. Dieses Netzwerk besteht aus der hinteren unteren Frontalwindung (Broca-Gebiet), den mittleren Abschnitten der oberen und mittleren Temporalwindungen, den hinteren Abschnitten der oberen und mittleren Temporalwindungen (Wernicke-Gebiet) und dem Thalamus. Berücksichtigt man ferner experimentelle Aufgaben, die erst in späteren Stadien in den Wortproduktionsprozess einmünden, wie z.B. das Lesen von Wörtern und Pseudowörtern, so scheint das Wernicke'sche Sprachareal spezifisch beim Zugriff auf den lexikalischen phonologischen Code involviert zu sein, während das Broca'sche Sprachareal sowie der mittlere Teil der oberen Temporalwindung eher an postlexikalischer phonologischer Verarbeitung beteiligt zu sein scheinen.

indefrey@mpi.nl

pim@mpi.nl (((Levelt)))

"Wortfindung und Benennen im Rahmen neuronaler Modellierung"
G. Kochendörfer

Zahlreiche Versuche mit Simulationen sprachverarbeitender Leistungen auf biologisch realistischen (nicht den üblichen "künstlichen") neuronalen Netzen haben ergeben, daß die Repräsentation von Konzepten im Kortex nicht "verteilt" sondern "lokalistisch" zu denken ist. Das lokalistische Grundprinzip der Repräsentation hat aber erhebliche Konsequenzen für das Verständnis des Benennvorgangs und des Lexikonzugriffs in der Sprachproduktion allgemein. Der Vortrag versucht, diese Konsequenzen in überblickshafter Form und unter Verzicht auf die simulationstechnischen Details herauszuarbeiten und auf ausgewählte Beobachtungen bei Prozessen der Wortfindung anzuwenden.

kochendo@uni-freiburg.de

"Besonderheiten der Wortfindung im tertiärsprachlichen Bereich"
Johannes Müller-Lancé

Die europäische Spracherwerbs- und Sprachlehrforschung hat sich in den letzten Jahren zunehmend den sogenannten Tertiärsprachen zugewandt. Dieser Sammelbegriff umfaßt diejenigen Sprachen, die (in zumeist gesteuerter Umgebung) als zweite, dritte, vierte usw. Fremdsprache gelernt werden. Stark diskutiert wird nun, wie diese häufig miteinander verwandten Sprachen im mentalen Lexikon eines Sprechers verarbeitet werden - bisherige Theorien zum mentalen Lexikon beschränkten sich zumeist auf ein- oder zweisprachige Sprecher.

Ein bekanntes Verfahren, um Indizien zur Verarbeitung von Wortschatzelementen im mentalen Lexikon zu gewinnen, ist der freie Wortassoziationstest. Ebenfalls verbreitet ist das Verfahren, über Lautdenkprotokolle Aufschlüsse über Wortfindungsstrategien von Probanden in der fremdsprachlichen Rezeption und Produktion zu erhalten. Dennoch wurden m.E. bisher weder Wortassoziationstests zu mehr als zwei Sprachen eines Probanden erstellt noch Lautdenkprotokolle mit der entsprechenden sprachlichen Ausrichtung.

Es soll nun versucht werden, Assoziationsketten aus mehrsprachigen Wortassoziationstests mit einer besonders typischen Wortfindungsstrategie mehrsprachiger Probanden in Beziehung zu setzen: Gemeint sind hiermit interlinguale Strategien, bei denen Transferbasen aus unterschiedlichen Sprachen eines Sprechers verwendet werden, um die Bedeutung einer tertiärsprachlichen Form (Rezeption) oder aber die tertiärsprachliche Form selbst (Produktion) zu finden. Auch hierbei entstehen Ketten von Wörtern unterschiedlicher Sprachen. Die Ergebnisse des Vergleichs zwischen den Assoziationsketten und diesen retrieval-Ketten werden vor dem Hintergrund aktueller Theorien zum mentalen Lexikon interpretiert.

muelance@uni-freiburg.de

"Therapeutische Ansätze bei Benennstörungen (am Beispiel von Aphasien)"
Markus Gress-Heister

Bei der Therapie von Benennstörungen werden Vor-Annahmen impliziert, die für das therapeutische Vorgehen von nicht unerheblicher Relevanz sind.

So gehen einige Autoren z.B. davon aus, dass es sich bei Benennstörungen um die Entkopplung semantischer Einträge von den entsprechenden Lautformen im phonologischen Output-Lexikon handelt (Hills & Caramazza 1994). Auch der alte Streit, ob es sich bei den Benennstörungen um echte ‚Löschungen’ von Bedeutungen und/oder Begriffen handelt oder ob es sich nur um einen gestörten ‚Zugriff’ auf lexikalische Einheiten handelt, wird in diesem Zusammenhang mehr oder weniger heftig geführt.

Phonematisches Cueing und/oder semantische Cues sind als therapeutischer Zugang zur Überwindung der o.g. Entkopplung nicht unüblich. Auch lexikalische Umschreibungstrategien werden häufig zur Faszilitation des lexikalischen Zugriffs eingesetzt. Gar nicht so selten enthalten die Umschreibungen entweder das Zielwort oder haben eine starke Verbindung zum Stammmorphem. Huber et al (1988) empfehlen, zunächst mit großen semantischen Kontrasten zwischen den Übungsitems zu arbeiten, da die entprechenden Feindifferenzierungen hohe Verarbeitungsleistungen erforderlich machen. Diese und viele andere therapeutischen Ansätze findet man in sprachtherapeutischer Literatur häufig ohne Bezug und Referenz zur jeweiligen zugrundeliegenden theoretischen Meinung.

In unserem Vortrag soll es darum gehen, am Beispiel der Aphasietherapie zu schildern, welche Ansätze sprachtherapeutischer Intervention derzeit in der Anwendung sind. Didaktische und methodische Besonderheiten, sowie die Evaluation sollen besondere Berücksichtigung finden. Am Beispiel der Aphasietherapie bei hochbetagten Menschen soll dargestellt werden, wo die Grenzen dieser Interventionsoptionen liegen. In Rückbezug auf einen entwicklungsneurophysiologischen und entwicklungsneuropsychologischen Ansatz soll versucht werden, eine interdisziplinäre Sicht auf das Problem der Therapie von Benennstörungen zu werfen.

Es lässt sich aufzeigen, dass unter bestimmten Umständen eine Benennstörungstherapie nur dann einen Sinn macht, wenn zumindest begleitend mentale Repräsentationen entwicklungsneurophysiologisch (Pörnbacher) und/oder neuropsychologisch co-therapiert werden.

gress@rhrk.uni-kl.de

"Lexique et cognition: La sémantique des proverbes"
Georges Kleiber

Le titre peut surprendre: Qu'ont à faire les proverbes avec le lexique et la cognition ? Ce sera l'objectif de notre exposé que de montrer la place sémantique et cognitive tout à fait originale qu'ils occupent dans le lexique des langues. Nous le ferons en montrant:

(i) que ce sont des dénominations-phrases de niveau générique et qu'à ce titre ils relèvent du lexique d'une langue;

(ii) que, contrairement à ce que donnent à penser la plupar des commentateurs, ils possèdent un sens qui leur est propre, qui est celui d'une implication entre deux situations génériques engageant les hommes;

(iii) qu'ils peuvent eux-mêmes, dans un fonctionnement cognitif remarquable, connaître des emplois métaphoriques ou figurés;

(iv) que le sens implicatif est le schème sémantique;
a) qui sert de guide cognitif à la fois dans la reconnaissance des proverbes, la construction de proverbes, l'interprétation des proverbes, etc.;
b) et qui, surtout, permet de prédire quelles phrases génétiques pourraient devenir, et à quelles conditions, des proverbes ou non ;

(v) vue le facteur implicatif explique dans une perspective gricéenne pourquoi certains proverbes et pas d'autres ont un sens implicatif qui est l'hyperonyme de la situation implicative "littérale", autrement dit, que beaucoup de proverbes reconnus métaphoriques ne le sont pas, mais relèvent plutot de la synecdoque.

kleiber@monza.u-strasbg.fr

"Psycholinguistische Modelle und neurolinguistische Daten: Bedeutungsbezogene aphasische Fehlbenennungen"
Florian Kulke und Gerhard Blanken

Psycholinguistische Modelle beschreiben schwerpunktmäßig das fehlerfreie Sprachverhalten sprachgesunder Sprecher. Aphasische Störungen haben zur Folge, daß sich die Fehleranfälligkeit der sprachverarbeitenden Prozesse erhöht. Aphasische Fehlleistungen bieten eine Möglichkeit, die in psycholinguistischen Modellen formulierten Hypothesen zu überprüfen. Wir stellen die Auseinandersetzung zwischen psycholinguistischen Modellen und empirischen Daten aus Untersuchungen mit aphasischen Patienten anhand eines Beispiels vor. Das Modell von Levelt und Mitarbeitern (Levelt, Roelofs & Meyer, 1999) dient uns hierbei als theoretischer Bezugspunkt.

In einer Reihe einflußreicher Studien wurde in den vergangenen Jahren kontrovers diskutiert, ob für bedeutungsbezogene Fehlleistungen auch eine gleichzeitige lautliche Ähnlichkeit zum Zielwort nachweisbar ist. Die überzufällige Häufigkeit einer gleichzeitigen lautlichen Ähnlichkeit, die wir auch in einer eigenen Studie zum aphasischen Benennen von Abbildungen nachweisen können, wollen wir nutzen, um unsere Schlußfolgerungen über mögliche Modifikationen des Modells von Levelt und Mitarbeitern zu begründen. In diese Modifikationsvorschläge fließt hierbei auch die Beobachtung ein, daß in den von uns untersuchten bedeutungsbezogenen Fehlleistungen darüberhinaus auch das grammatische Geschlecht des Zielwortes mit einer überzufälligen Häufigkeit erhalten bleibt.

Literatur:Levelt, W.J.M., Roelofs, A. & Meyer, A.S. (1999) A theory of lexical access in speech production. Behavioral and Brain Sciences 22, 1-75.

kulkef@uni-freiburg.de

blanken@uni-freiburg.de

"Wortfindung und verbale Flüssigkeit bei früher Alzheimer-Krankheit"
Michael Schecker

Bereits für frühe und moderate Stadien der Alzheimer Krankheit (Reisbergskala 3 und 4 einerseits und 5 andererseits) lassen sich eine Reihe von Sprachabbau-Phänomenen sicher belegen (Wortfindung und verbale Flüssigkeit, Pronominalisierung, Verarbeitung bildhafter und indirekter Redeweisen, lexikalisches Konkretisierungsniveau, Aufruf bzw. Rückgriff auf Kontext, u.a.). Nach einer Reihe von Pilotstudien scheinen sich solche Auffälligkeiten gleichermaßen auf gestörte Top-Down-Steuerungen beziehen zu lassen. Dieser Zusammenhang soll anhand der inzwischen bestens beforschten Wortfindungs- und Benennstörungen empirisch dokumentiert und theoretisch aufgearbeitet werden; dabei werden wir auch Ergebnisse aus Simulationsexperimenten mit einbringen.

Wenn sich unsere empirischen Beobachtungen (auch weiterhin) bestätigen lassen - und die hypothetisch unterlegten theoretischen Zusammenhänge plausibel sind, dann wird das unser Bild von der Alzheimer'schen Erkrankung grundlegend ändern. Teil einer neuen Sicht der Alzheimer'schen Erkrankung wird dann werden müssen, daß es sich dabei zunächst - funktional gesehen - um eine hoch selektive Störung zentraler 'Top-Down-Steuerungen' handelt ('prädiktives Monitoring'), die freilich in eine Vielzahl unterschiedlicher Informationsverarbeitungsprozesse involviert sind und deshalb phänomenal durchaus den Eindruck einer gewissen Diffusität ergeben.

Literatur: M. Schecker (1999) Wortfindung und verbale Flüssigkeit in frühen Stadien der Alzheimer Krankheit. G. Kleiber et al. (Eds.), Kognitive Linguistik und Neurowissenschaften, Tübingen (Narr, Cognitio 7), 129 - 150.

schecker@uni-freiburg.de

"Multiples vs. unitaristisches semantisches System:
Imaging-Vergleich der Verarbeitung von Bild- und Wortmaterial"

N.N. (angefragt)

In einer Reihe von Studien mit 'bildgebenden Verfahren' wurden alternativ Bilder und schriftliche dargebotene Wörter zur Weiterverarbeitung dargeboten. Eine Analyse der entsprechenden Stoffwechsel- bzw. Aktivierungsprozesse ergab, daß - mit sehr geringfügigen Ausnahmen - genau die gleichen Regionen in genau der gleichen Abfolge aktiviert wurden.

Noch immer ist es gängig, zwischen der Bedeutung sprachlicher Ausdrücke bzw. einem 'Bedeutungssystem' und einer konzeptuellen Ebene zu unterscheiden (vgl. nicht zuletzt das Sprachproduktionsmodell Levelts in der Fassung von 1989). Die oben angesprochenen Studien liefern jedoch eine wichtige empirische Evidenz für eine 'unitaristische' Vorstellung, nach der so etwas wie 'Wortbedeutungen' bestenfalls eine Auswahl aus dem konzeptuellen System (unserer Konzeptualisierung der Welt) darstellen.

Der Vortrag versteht sich im wesentlichen als kritische Aufarbeitung der jüngsten Literatur.

"Gesprächsanalytische Untersuchung von Wortfindungsstörungen"
Zsuzsanna Iványi

Nach klassischer gesprächsanalytischer Auffassung ist das Gespräch eine interaktive, geordnete sprachliche Aktivität, deren Organisation aus Regeln, Regelsystemen bzw. Konventionen zu-sammengesetzt ist. Dazu gehören auch die Methoden zur Bewältigung von Störungen in der Kommunikation, für welche die Sprache einen "eingebauten Apparat", einen Reparaturmechanismus besitzt.

Demzufolge kann angenommen werden, daß der Wortsuchprozeß, einer der Gründe für Störungen in der Versprachlichung, auch Regelmäßigkeiten aufweist, die Bestandteile der Gesprächsstruktur sind und mit gesprächsanalytischen Mitteln zu erschließen sind.

Der Vortrag versucht die Fragen zu beantworten,
- welche Regularitäten von Wortfindungstörungen als Teile einer "Gesprächssyntax" aufzufassen sind,
- wie die Wortsuchprozesse mit gesprächsanalytischen Mitteln beschrieben, systematisiert und typisiert werden können,
- welche generellen sprach- und sprecherunabhängigen Eigenschaften sie haben - und
- ob ihre Ursachen mit Methoden der Gesprächsanalyse zu erforschen sind.

Den vorgeführten Schlußfolgerungen gehen empirische Untersuchungen voran, die die klassischen Methoden der Konversationsanalyse befolgen, d.h. Auswertung von Analysen relevanter, transkribierter Gesprächsabschnitte, Identifikation der wiederkehrenden Strukturelemente und Entdeckung und Feststellung ihrer Regelmäßigkeiten im untersuchten Text. - Den Untersuchungen liegt ein ziemlich breites Korpus von 150 Seiten zugrunde, das transkribierte Mitschnitte von in verschiedenen Sprachen geführten Alltagsgesprächen mit Sprechern unterschiedlicher Muttersprache (Deutsch, Ungarisch, Russisch) enthält.

ivanyizs@tigris.klte.hu

Zeitplan:

Mi, 1.3.

14,30 - 15 Uhr
15 - 15,30 Uhr
15,30 - 16 Uhr
Pause
16.30 - 17 Uhr
17 - 17,30 Uhr
17.30 - 18.30 Uhr

Do, 2.3.

9 - 10 Uhr
10 - 11 Uhr
Pause
11.30 - 12.30 Uhr

Fr, 3.3.

Mittag
13,30 - 14 Uhr
14 - 15 Uhr
15 - 15,30 Uhr
15,30 - 16 Uhr

Mittwoch, den 1.März 2000

14,30 - 15,00 Uhr   
Eröffnung (M. Schecker)

15,00 - 15,30 Uhr    
G. Kleiber: "Lexique et cognition: La sémantique des proverbes"

15,30 - 16,00 Uhr     
G. Lüdi: "Mehrsprachigkeit, Code-Switching und Wortfindung"

16,00 - 16,30 Uhr    Pause

16,30 - 17,00 Uhr   
Johannes Müller-Lancé: "Besonderheiten der Wortfindung im tertiärsprachlichen Bereich"

17,00 - 17,30 Uhr   
Zsuzsanna Iványi: "Gesprächsanalytische Untersuchung von Wortfindungsstörungen"

17,30 - 18,30 Uhr   
P. Auer & B. Rönfeldt: "Erinnern und Vergessen. Wortfindung als interaktives und soziales Problem"

Donnerstag, den 2. März 2000

9,00 - 10,00 Uhr   
P. Indefrey & W.J.M. Levelt: "Die Hirnaktivität bei der Produktion von Wörtern"

10,00 - 11,00 Uhr   
N. N.: "Multiples vs. unitaristisches semantisches System:
Imaging-Vergleich der Verarbeitung von Bild- und Wortmaterial"

11,00 - 11,30 Uhr    Pause

11,30 - 12,30 Uhr  
G. Kochendörfer: "Wortfindung und Benennen im Rahmen neuronaler Modellierung"

Freitag, den 3. März 2000

13,30 - 14,00 Uhr   
M. Schecker: "Wortfindung und verbale Flüssigkeit bei früher Alzheimer-Krankheit" 

14,00 - 15,00 Uhr
F. Kulke & G. Blanken: "Psycholinguistische Modelle und neurolinguistische Daten: Bedeutungsbezogene aphasische Fehlbenennungen"

15,00 - 15,30 Uhr
M. Gress-Heister: "Therapeutische Ansätze bei Benennstörungen (am Beispiel von Aphasien)"

15,30 - 16,00 Uhr
Rückblick und Abschluß (M. Schecker)